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© "Nik" Klaus Polak
seit 2/2003 als freier Journalist auf Weltreise
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Lokalderby in Panama

© "Nik"Klaus Polak, Bonn, Germany

zum Panama - Teil 1: Bocas del Toro / Isla Colón

Die Straßen der Kleinstadt Bocas del Toro auf der Isla Colón an der nördlichen Karibikküste Panamas sind leergefegt, das Estadio Juan Chen ausverkauft, die einzige Tribüne mit gut 300 Zuschauern brechend voll. Eine knisternde Spannung liegt über dem Platz, da überall Erdnüsse aufgebrochen und Chiptüten herumgereicht werden. Es ist heiß, darum kreisen auch noch etliche kühle Panama, Balboa und Atlas. Heute findet DAS LOKALderby des Jahres statt, es stehen sich die beiden Erzrivalen SV Eintracht Bocas und SF Wacker Bastimentos von der Nachbarinsel gegenüber.
Nachdem die Geier (Coragyps atratus) vom Platz getrieben wurden, sie werden erst später zur Spurenbeseitigung benötigt, erscheinen die Recken beider Mannschaften in dunkelbraun. Moment mal da stimmt doch was nicht, ach so, ja, das sind die Hautfarben. Einige haben bunte T-Shirts und Hosen an, aber offensichtlich gelang es nicht, zwei Mannschaftssätze zusammen zu bekommen. Auch die Sponsoren wurden nicht einheitlich gewählt, es dominieren aber eindeutig die hiesigen Gerstensäfte, da es nach jedem 1000sten Bier in der Stammbar ein T-Shirt gratis gibt. Der Schiedsrichter scheint alle Teilnehmer persönlich zu kennen, als ob es seine Kinder wären, dies ist auch nicht ganz unwahrscheinlich, denn er ist der hiesige Priester. Unvermittelt tritt der Spielführer von Bastimentos ihm heftig gegen das Schienenbein. Statt zur roten Karte, greift der Refery mit zusammengebissenen Zähnen in seine Hosentasche und reicht dem Spielführer von Bocas den 10 $ - Schein zurück.
Aber nun geht es los. Die Mannschaften nehmen Aufstellung bzw. das was sie dafür halten, die Kinder klettern auf die Absperrgitter und singen Mäshndrahtsaun . Anpfiff und die obere Tribünenbank steht Kopf, denn jemand hat sich den Spaß gemacht und die Bolzen herausgezogen, ein Teil der Zuschauer liegt nun auf der rückwärtigen Straße.
Unbeeindruckt bolzt der Verteidiger Ernesto von Bastimentos den Ball nach vorne, einer seiner Kumpels folgt ihm, also dem Ball, während die anderen Stürmer darüber sinnieren, ob es bei der Hitze nicht ratsamer wäre, die Kräfte  einzuteilen, es sind ja noch 89 Minuten zu spielen. Dabei entgeht ihnen, dass der Kollege ausnahmsweise mal die Lederkugel erreicht, in den Strafraum flankt - wo die Stürmer ob ihrer Lethargie fehlen - und ein sicherer Fang des Torwartes ist. Aber nein, was macht der??? Der Ball kommt so torwartfreundlich, dass er sich dem nicht nicht entziehen kann und den Ball in einer eigentlich grundlosen aber tollkühn-eleganten Fliegenklatschenabwehr publikumswirksam um den Pfosten lenkt. Seine Verteidiger gucken ihn vollkommen entgeistert an, er erntet begeisterte Ovationen der inzwischen wieder auf der oberen Bank sitzenden Freunde, vor allem aber -innen.
Ecke. Nach einigen Diskussionen zwischen Mitspielern, Schiedsrichter und Zuschauern schleicht ein Rasta, auf Grund seiner Mähne "The Lion of Bocas" oder schlicht "Big Lion" genannt, gemächlich auf die Eckfahne zu, greift sich das runde Leder und legt ihn bedächtig auf den Eckpunkt. Offensichtlich weiß er nicht so genau was er tun soll, und lässt sich einen Zug aus einem Joint von einem Zuschauer reichen. Dies scheint seine Inspiration anzukurbeln und mit einem gewaltigen Anlauf ... haut er volle Kanne in den Rasen. Das Publikum johlt zuerst auf. Der tatsächliche Bewegungsablauf korrelierte wohl nicht mit der vorweggenommenen Bewegungsvorstellung, was sicherlich jedem als Antizipation bekannt ist. Zumindest scheint die Tüte gut gewesen zu sein.
Während der Rasta etwas storniert in die Abwehr humpelt übernimmt ein Kollege die Ausführung. Eine stramme Bananenflanke - logisch in dieser Republik -, dann geht es rasend schnell. Abgeblockt vom Liberoknie, Schuss des rechten Verteidigers Ernestos aufs eigene Tor (!), der Keeper faustet als Zugabe nochmals auf den Kopf seines linken Verteidigers, dieser trifft aber nur den Pfosten und es kommt zum abermaligen Eckstoß. Diesmal ganz hinterhältig ausgeführt direkt vor die Füße Ernestos. Aber der ist nicht noch einmal so dumm aufs eigene Tor zu schießen und trabt mit dem Ball los. Keiner will ihm so recht folgen wollen, wie gesagt es ist heiß und man frönt der Strategie einer ehemals erfolgreichen, hier aus Pietätgründen nicht namentlich genannten nordpäischen Nationalmannschaft mit schwarz-rot-goldener Nationalfahne, die sich nun dem Minimalismus verschrieben hat.
Nur noch 30 Meter bis zum gegnerischen Tor, kein Verteidiger weit und breit, das hebt die Stimmung von Ernesto. Der gegnerische Torwart José hat es nun auch mitbekommen und steht aus seinem mageren Querbalkenschatten auf, hebt schirmend die Hand an die Stirn, wobei er zuerst einige Locken verlagern muss, und sieht nun, wie eine Dampfmaschine auf ihn zurollt. Zögerlich ein paar Schritte vor, links, rechts hüpfend und dem Unvermeidlichen ins Auge blickend verharrt José schließlich in einer Defensivposition. Inzwischen ist der "humpelnde Lion" am Strafraumrand angekommen, worauf Ernesto sichtlich irritiert einen unnötigen aber gekonnten Schlenker einbaut - und über einen Ameisenhaufen stolpert. Der Rasta grinst den am Boden Liegenden breit an, will den Ball wegschlagen und tritt dabei in den selben, inzwischen etwas eingeebneten Hügel mit dem Aua-Fuß, durchläuft eine zeitrafferartige Devolution zu einem Alouatta palliata (Brüllaffen), um sich dann in ein bedauernswertes Humpelstilzchen zu verwandeln. Der defensive Torwart bleibt Fels in der Brandung und zumindest moralischer Sieger.
Inzwischen hat es ein Teil der Mannschaft mit erstaunlichem Energieaufwand geschafft - zwei prosten sich mit Panama-Bierdosen zu - bis zur Mittellinie zurück zu spazieren. Bis dahin reicht auch der Abschlag ... und Bombo gibt sich die Kugel. Ja, Bombo, das Wunderkind von Bastimentos, bekommt nicht das Leder, er gibt es sich selber und erteilt nun dem Gegner, den Zuschauern, seinen Mitspielern und sich selbst eine Lehrstunde. Er kann den Ball so eng führen wie dereinst Bombor Gerd Müller in seiner präethanolischen Phase, so begnadet passen wie Franz Beckenbauer auf dem Höhepunkt seiner kaiserlichen Laufbahn und dribbeln wie Pelé noch als Großvater - aber wer ist schon Pelé? Bombo hat jedenfalls den Ball und gibt ihn so schnell nicht wieder her! Seine Kollegen sehen das auch ein, Roberto setzt sich sogar hin und zupft Grashalme. Inzwischen hat Bomba sogar zwei seiner eigenen Kumpel ausgespielt, hebt endlich mal den Kopf und stellt fest, dass die Richtung besser zu ändern wäre. Und nun geschieht das Wunder von Bocas auf Isla Colón, Bombo, Gott des Rasens, der Meister seiner eigenen Klasse, ein Künstler des runden Leders, lässt sich gnädig herab und spielt den Ball einem freien Mitspieler zu!
Dieser ist davon so überrascht, dass er gar nicht anders kann, als ihn ob der Schrecksekunde passieren zu lassen, was wiederum einigen Grashalmen zu Gute kommt. Frisch erholt springt Roberto auf, lässt seinen Blick Richtung Tor schweifen und holt aus. Woooouuuugh! Was für eine Klatsche. Der Torwart sieht das Geschoss kommen, hebt im Stile eines bereits im Fußballolymp avisierten Seppl Maier ab, schwebt lautlos und endlos lang in der Luft - das Publikum vergisst zu atmen -, hebt schließlich seine auserwählte linke Hand und damit das Ding über die Latte. Das Publikum atmet durch und stöhnt dann auf: Booooooooooh!!! Jeder, der schon mal den Ball über die eigene Latte gehoben hat, weiß was gemeint ist.
Wieder Ecke, wieder Verwirrung im Strafraum, und dann Bombo!! Bombo, du Übergott des Fußballs, begnadetes Mirakel von Bastimentos, gebenedeit seien deine knackigen Waden, bekommt im Gewühl seinen Kopf an den Ball, Bom...boo - Toooooooooooooooooooooooor!!!!!! Schlicht und einfach Tor. Ecke, Verwirrung, Bombo, Tor. Den Ball rein in das Gebälk. Warum umständlich, wenn's auch einfach geht. Einfach Bombo - einfach Tor.
Auf dem Rasen spielen sich Szenen ab, die jedem Homosexuellen von San Francisco die Schamesröte hätte ins Gesicht steigen lassen. Es gleicht einer zentralsüdwestafrikanischen Begattungszeremonie als 10 Männer - der Torwart begnügt sich mit einem hübschen schokoladenbraunen Groupie - sich unter-, über-, neben- und aufeinander stürzen. Und jetzt stürmen auch noch Zuschauer auf den Platz! Das kann doch nur in einer gigantischen Orgie enden, oh Gott, ich wage gar nicht hinzusehen und male mir nur aus, welche Szenen sich gleich abspielen werden. Doch der Schiedsrichter hat ein Einsehen, akzeptiert den Treffer, die 10 $ sind eh futsch, und zeigt auf den Anstoßpunkt. Unglaublich, es steht 1:0, die Tribüne ist ein Tollhaus, zumindest die Hälfte davon. Und dieser Kopfball. Wahnsinn, 3 cm im vollen Tiefflug über der Grasnarbe angenommen und dann ins Tor gedrückt.
Keiner weiß natürlich, dass Bombo kurz zuvor über seine eigenen Knochen gestolpert ist und auf einmal einen Querschläger gegen den Kopf bekam, der ihn kurzfristig außer Gefecht setzte. Die hässlichen Kratzer im Gesicht sind auch nicht der Rede wert, reine Heldennarben!

Anstoß für Bocas. 1:1. Toooooooooooooooooor. Toooooooooooooooooooorrrrrrrrrrrrrrrr. Die andere Hälfte der Tribüne überschlägt sich, tobt und beginnt Bolzen heraus zu reißen. Der Torhüter war so beschäftigt mit seinem Groupie zu flirten, dass er vergessen hat ins Tor zu gehen. Auf beiden Seiten spielen sich unglaubliche Szenen ab. Die Mannschaft von Bastimentos scheint offensichtlich nicht so gut auf ihren letzten Mann zu sprechen zu sein, man gestikuliert, schimpft, bedient sich eingeborener Einfingersymbole, das Mädel zetert, wird dann aber vom Torwart - unter welchen Versprechungen auch immer - hinter den Maschendrahtzaun komplimentiert, wo sie dem Hohn der Kinder von Bocas ausgeliefert ist. Na ja, nicht ganz ausgeliefert, sie hat einen Regenschirm dabei.
Auf der anderen Seite wird gerade die zentralsüdostafrikanische Variante durchgeprobt: unter-, über-, neben- und aufeinander stürzen, aber in der umgekehrten Reihenfolge. Aha, deswegen gibt es also keine gemischten Mannschaften, denn bei einer rein hypothetischen erfolgreichen Befruchtungsrate von nur einem Tausendstel Promille nach jedem Tor bei jedem panamesischen Fußballspiel, würde die Erde vermutlich in wenigen Jahren so übervölkert sein, dass man aus Platzgründen weltweit auf Tippkick ausweichen müsste.

Anstoß für Bastimentos . DAS ging aber total in die Hose, der Anspielpartner hockte noch auf dem Rasen und schnürte seine Schuhe, die er zuvor im Eifer des Gefechts dem eigenen Torwart an den Kopf geworfen hatte, das heißt wollte, denn er traf nur einen Regenschirm, der nun etwas zerfleddert aussieht. 
Also Einwurf für Bocas, Chico zu Mario, weiter zu Jésus. Dieser läuft ausnahmsweise mal nicht übers Wasser ,wie volltrunken am letzten Blue Monday morgens um fünf Uhr, als sie ihn anschließend minutenlang wiederbeleben mussten, sondern flankt gekonnt zu Pepe. Pepe hat freie Bahn zum Torschuss ... ! Und darum wird Pepe logischerweise von hinten mit einer grässlichen Blutgrätsche von Paolo zu Fall gebracht. Nööö, nich' ganz sauber, nich' ganz fair, und Pepe lässt sich zu Recht fallen wie ein waidwund geschossenes neunbändiges Gürteltier (Dasypus novemcinctus). Pepe rollt über den Rasen als wäre er ein Michelin-Männchen und bekäme Geld für jede vollständige Umdrehung, stöhnt als ob sein Sponsor der hiesige Zahnarzt wäre - und ein Gutteil der Tribüne leidet mit ihm, alle kennen den ehemaligen Klempner. Ich lache mich halb tot ob dieser filmreif kreativen Einlage, verstumme allerdings, vielleicht ist es doch was Ernstes, denn 10 m entfernt landet der erste Geier, die anderen kreisen abwartend.
Paolo, der Unschuldsengel protestiert "... ich hab doch gar nix ... " . Und DAS war ein riesengroßer FEHLER. Wie kann man nur so dumm sein? Dies ist endlich der erste ernst zu nehmender Hinweis für den Schiedsrichter, dass ein Foul passiert ist.
Ein gellender Pfiff und Paolo fällt auf die Knie. Oh Jungfrau Maria in Gnaden, wie kann mir so ein Unrecht geschehen, eigentlich bin doch ich Paolo der Gefoulte, warum musste auch Pepe zwischen mir und dem Ball zu stehen - mal ganz davon abgesehen Schiri: wir wollten dir heute eigentlich 10 $ für eine neue Brille geben. Das reicht diesem endgültig und nun ist auch noch ein gelber Karton fällig. Paolo versteht die Welt nicht mehr. Undank ist der Welten Lohn, die andere Hälfte der Tribüne scheint ihm Recht geben zu wollen und beginnt den Platz zu okkupieren. "Tritt zu, der Pepe zuckt ja noch" höre ich hier und da die Menge frenetisch toben, da und hier scheint ein Messer aufzublitzen, das müssen die Gefangenen sein, die heute Freigang haben, andere bemühen sich um sehr phantasievolle Verbalinjurien. "Blut, ich will Blut sehen" schreit ein Zehnjähriger, während seine jüngeren Geschwister über herrenlosen Bierdosen und Kippen herfallen.
Zu spät, viel zu spät gibt sich Paolo als reuiger Sünder, entschuldigt sich bei Pepe, aber in seinem Blick glimmt die Garantie für Wiederholung. Inzwischen steigt wie Phönix aus der Asche der wundersam genesene, ehedem Gefoulte und führt rasch den Freistoß aus. Ein sehr sauberes feines Pässlein, eines Maradonna würdig, in die Gasse zu seinem einschussbereiten Mitspieler ------ und ein schriller Doppelpfiff.
Der Schiedsrichter pfeift ab. Einfach so. Wegen Maradonna? Kokain im Spiel, Dopingkontrolle? Eigentlich habe ich nur Joints gesehen. Aber was dann? Was ist los? Da war kein Foul, kein Abseits, Halbzeit kann auch noch nicht sein, es sind gerade mal 30 Minuten gespielt. Niemand protestiert. Alle verlassen den Platz, d.h. jede Mannschaft zu ihrem Tor. Auch das Publikum findet nichts dabei, überall ist nur rege Gespanntheit. "Käsque dat dann?" will ich gerade rufen, als ein entferntes Gebrummel mich und alle anderen aufhorchen lässt.
DAS IST ES! Diese Menschen haben eine Vorahnung für Erdbeben. Ich Trottel, das sind natürlich Eingeborene, die mit den hiesigen Naturkräften vertraut sind und schon vor dem Ausbruch der Urgewalten erahnen, was sich im Untergrund zusammengebraut hat. Und während der dumpfe Ton anschwillt und immer lauter wird, sehe ich mich nach sicheren Plätzen um, dass mir bloß nichts auf den Kopf fallen kann. Oh Gott oder Allah oder was auch immer, ich stehe unter einer Stromleitung, bloß weg hier. Während ich nun so flüchte, bleibt die Tribüne erstaunlich gelassen. Keiner macht auch nur die geringste Anstalt, sich in Sicherheit zu bringen. Warum auch.
Es ist die 17 Uhr - Maschine von Aeroperlas aus Panama City, gerade dabei einzuschweben, und der Fußballplatz das direkte Vorfeld zur Landebahn. Drei Meter oberhalb der "Mittellinie", eine Verlängerung der Piste, die den eigentlichen Grundstock für das Dorfstadion bildete, röhrt die zwölfsitzige Turboprop entlang. Eine hoher Abschlag hätte den Spielverlauf oder das Flugzeug auf den Kopf stellen können.
Kurz danach geht es weiter und endet nach turbulentem Verlauf 5:4 für die siegreiche Mannschaft. Aber das ist ein anderes Märchen.


© "Nik" Klaus Polak
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